Befreiung aus der Sprachlosigkeit

© 2017 Neue Westfälische Gütersloh, Mittwoch 28. Juni 2017


Der ehemalige Fachkrankenpfleger für Psychiatrie, Eckhard Pawlowski, hat Erlebnisse und Gedanken in dem Band "Beziehungsgeschichten" niedergeschrieben. Sein Leben hat ihn gelehrt, wie wichtig das Reden ist.

 

                      © 2017 Neue Westfälische Gütersloh                              Von Rolf Birkholz

 

Die Menschen sind "zunächst Beziehungswesen, bevor wir auch mal Individuen sein können", schreibt Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner. Und Eckhard Pawlowski erzähle in seinem Buch "tatsächlich nur Geschichten vom Leben der Menschen, wobei dieses Leben ihre Beziehungen sind, die es zu pflegen gilt, damit das Leben einigermaßen gelingt." Aus dem Vorwort des ehemaligen langjährigen Leiters der LWL-Klinik sprang dem einstigen Fachkrankenpfleger für Psychiatrie der passende Titel für sein Buch gleichsam entgegen: "Beziehungsgeschichten".

 

Der 63-jährige Eckhard Pawlowski hat als "Nachkriegskind", wie er sich nennt, die Sprachlosigkeit der Elterngeneration erlebt, zumal des Vaters. Erst nach dessen Suizid hatte der Sohn erfahren, dass der Vater als Soldat gegen Kriegsende womöglich in Untaten verstrickt war. In der Familie war über die Nazi-Zeit geschwiegen worden, bei Nachfragen habe eine damals weit verbreitete "Halt den Mund"-Pädagogik gegriffen. Selbst sehr streng erzogen, hatte sein Vater diese Strenge auch sein einziges Kind spüren lassen.

 

Pawlowski weiß aus seiner 33-jährigen Erfahrung als Fachpfleger, Angehörigen-Berater in der gerontopsychiatrischen Ambulanz und auch Dozent, dass solch schweigendes Verdrängen auch in anderen Familien herrschte, noch immer herrscht.

Er entdeckte manche Parallelen zur eigenen Lebensgeschichte. Es sei ihm "bei fast allen Familien mit pflegebedürftigen alten Menschen aufgefallen, dass nach außen hin die Welt in Ordnung war, aber in Bezug auf die zwischenmenschlichen Gefühle wie Nähe und Wärme haperte es oft an diesen notwendigen Voraussetzungen für eine faire und einfühlsame Versorgung der alten Menschen", schreibt der Gütersloher.

Darauf will er mit seinem Buch hinweisen, das will er ändern helfen.

Pawlowski weiß, dass "wir alle nicht gelernt haben, über unangenehme Dinge zu reden." Er hat jedoch erlebt, dass eigene Offenheit "die Türen der Herzen der Menschen" öffnen kann. Er habe schon lange einen soziotherapeutischen, aufs Ganze des Patienten gerichteten Ansatz verfolgt, sagt er. Aber erst eine eigene Erkrankung, die Nachdenkzeit dabei und die oft wahrgenommene oberflächliche Beziehungsweise zwischen Menschen (einst der schweigende Kriegsvater, heute womöglich auch die mehr mit dem Smartphone als dem Baby im Kinderwagen beschäftigte Mutter) ließ ihn Notizen und Erlebnisse zu dem Buch zusammenführen.

Viele in den 50er Jahren Geborene dürften sich durch Pawlowskis leicht lesbare (auch wenn sich manche Gedanken wiederholen) und zugleich um fachliche Seriosität bemühte Alltagsgeschichten angesprochen fühlen - und auch deren heute betagte Eltern. Noch ist es da und dort nicht zu spät, sich zu öffnen. Der Autor spricht den Leser direkt an.

Er will auch Mitarbeiter von Pflegediensten erreichen und nicht zuletzt pflegende Angehörige, denen es durch Unausgesprochenes verkomplizierte Beziehungen noch schwerer machen. Dazu gibt er Tipps, sich über die eigene Lebensgeschichte klarer zu werden: "Unsere Biografie ist eine Art Gebrauchsanleitung für Beziehungen."

 

Eckhard Pawlowski könnte heute übrigens seinem Vater und dessen ideologisch missbrauchter Generation vielleicht verzeihen, die selbst von der "Halt den Mund"-Erziehung geprägt war.

Hätten sie doch nur geredet, reden können. "Wie das Leben wirklich ist, haben wir alle nicht gelernt", zitiert er den Psychologen Lutz Dieter Schwede.

Und Klaus Dörner, dem auch die "überaus farbige und saftige Sprache" dieses Beziehungspflege-Buchs gefällt, stellt fest: "Es ist nun wirklich aufregend zu sehen, dass Pawlowski zu den ersten Pflegenden gehört, die sich aus der ihnen zugewiesenen Sprachlosigkeit befreien."