Vorwort   von Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner

Eigentlich erzählt Eckhard Pawlowski („Ecki“) in diesem „verrückten“ Buch tatsächlich nur Geschichten vom Leben der Menschen, wobei dieses Leben ihre Beziehungen sind, die es zu pflegen gilt, damit das Leben einigermaßen gelingt.

Egal, ob es sich dabei um die Beziehung der Kinder zu den Eltern handelt, um die Beziehung zwischen Geschwistern, Freunden, Arbeitskollegen, Nachbarn oder – zum Schluss – um die Beziehung des erwachsen Gewordenen zu den eigenen Kindern oder zu den eigenen, pflegebedürftig, vielleicht auch „verrückt“ gewordenen Eltern.

Und pflegebedürftig sind all diese Beziehungen immer körperlich, seelisch – gefühlsmäßig und sozial. Kommt hinzu, dass in jeder Generation die Beziehungen inhaltlich anders gefüllt sind.

Werden solche Inhalte umgangen, verdrängt oder in ihrer Versprachlichung pädagogisch verboten (mit der „Halt den Mund“ – Erziehung in der Kindheit), werden die Beziehungen verlogener, sinnleerer und einengender, entstehen Störungen und das Leben versiegt.

Das gilt nicht nur für die letzten Kriegs- und Nachkriegsgenerationen, denn der Wert des Menschen schrumpft schon mit dem Beginn der industriellen Epoche ab 1800 in all seinen zwischenmenschlichen Beziehungen, pädagogisch auf einen überangepassten Leistungs- und Gehorsamswert.

In Partnerbeziehungen werden ab dem Zeitpunkt der einmalig-romantisch verklärten Liebe alle bisherigen Jugendfreunde desselben Geschlechts bedeutungslos. Wenn aber nun der Ehe-Alltag zu den ersten Krisen führt, fehlen die alten Jugend-Busenfreunde, mit denen man auch mal vertrauensvoll über den Ehepartner herziehen dürfte. Als Folge erleben wir alle das Heer der Depressionen und Alkoholsüchte im mittleren Lebensalter, die Pawlowski in diesem Buch lebensnah beschreibt.

Dies als letzter Beweis, dass die Menschen zunächst Beziehungswesen sind, bevor wir auch mal Individuen sein können. Leider geht vielen Menschen ein Großteil ihrer individuellen Einzigartigkeit durch ihr übermäßiges Anpassungsverhalten verloren… in jeder Beziehung.

Er beschreibt wunderbar offen unausweichliche Inkontinenzprobleme, die nicht nur im höheren Alter, durch „Über sowas spricht man nicht“ zu beschämenden Situationen führen können, weil wir nicht gelernt haben, über „sowas“ zu reden.

Natürlich beginnt Pawlowski schon in der Einleitung mit der Suche bei sich selbst, beschreibt die Folgen der „Halt den Mund“ – Pädagogik des Vaters für ihn und begründet den Übergang von der Industrie – Lehre zur Pflegeausbildung bis zum Fachpfleger für Psychiatrie an der LWL – Klinik für Psychiatrie in Gütersloh, wo ich ihn kennen lernen durfte.

Je mehr es ihm gelang, vom stationären Arbeiten in die Ambulanz zu wechseln, also dorthin, wo die Menschen mit und ohne Störung leben - und dies auch noch in der Alterspsychiatrie, wo heute die aufregendsten Veränderungen stattfinden -, desto mehr festigte sich sein Bild vom Menschen als Beziehungswesen und von sich als Beziehungspfleger, vor allem, seit er in der Ambulanz die Aufgabe der Angehörigenberatung übernommen hatte und zudem als Dozent tätig wurde.

Ihm dämmerte nämlich, dass auch die Psychiatrie, seid ihrer Erfindung um 1800, die Geschichte ihrer Beziehungen ist: Anfangs wurde sie zur Philosophie gerechnet, weshalb z. B. Immanuel Kant seine Psychiatrie noch in seiner Menschenkunde („Anthropologie“) darstellte.

Dann aber wurde – wegen ihrer besonderen Erfolge – die Medizin zur Leitwissenschaft der Industrie – Epoche.

Psychische Störungen waren nur noch wie körperliche Krankheiten –
Defekte eines Individuums – der Beziehungsaspekt des Menschen war vergessen.

Seither hatten nur noch die Mediziner das Sagen, hatten das Monopol der Versprachlichung.

Und Pflege war (fast) nur noch Körperpflege.

Später kamen noch andere Wissenschaften hinzu, wie Psychologie, Pädagogik und Soziologie/Sozialpädagogik, bis die Pflegenden, die unterste Schicht in der Hierarchie, die einzig Sprachlosen, ohne eine eigene Fachsprache war, was Pawlowski, als Opfer der „Halt den Mund“ – Pädagogik im familiären Bereich an Anpassung an die je Anderen gewöhnt, zunächst ganz normal fand.

Es ist nun wirklich aufregend zu sehen, dass und wie Pawlowski zu den ersten Pflegenden gehört, die sich aus der ihm zugewiesenen Sprachlosigkeit befreien. Vielmehr gelingt es ihm, aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke zu machen.

Denn während die Medizin und die anderen Fachwissenschaften in ihrer Spezialisten Falle stecken, jeweils auf ein Individuum bezogen, ist der Mensch als Beziehungswesen das einzige Konzept, das alle körperlichen, seelischen und sozialen Aspekte ganzheitlich und alltagsbezogen umfasst und das als Beziehungspflege mehr umfasst als jede spezielle Therapie; und dies wieder besonders bedeutsam bei dem heute praktisch größten Problem der Alterspflegebedürftigen und Dementen, von denen heute selbst manche Spezialisten bereits behaupten, man könne nicht mehr beweisen, dass es sich dabei um Krankheiten im medizinischen Sinne handele, sondern lediglich um einige der Wege, über die wir diese Welt wieder verlassen können.

Die folgenden Kapitel dieses bunten Buches beschreiben die vielen Perspektiven, unter denen alltagstaugliche Beziehungspflege geschehen kann, von den „kleinen Dingen“, über die anthropologische Grundambivalenz von Nähe und Distanz in allen Beziehungen bis zur mit Recht am Ende stehenden Biografie als Gebrauchsanleitung – mit vielen praktischen Beispielen.

 

Bleibt zum Schluss noch ein Lob und Dank für die überaus farbige und saftige Sprache, mit der sowohl die privaten als auch die professionellen Felder der Beziehungspflege unter Berücksichtigung aller sinnlicher (berührender, optischer und akustischer) Sprachbilder dieser Beziehungslandschaften geschildert werden.

Dies beweist nicht nur ein weiteres Mal, dass Beziehungsgeschichten erzählt werden können, sondern macht auch die Lektüre zu einem reinen Lesevergnügen.

 

Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner